Eine der wichtigsten Ingredienzen für erfolgreiche Zusammenarbeit ist Vertrauen.
Beschreibung
Der Manager richtet sich zum morgendlichen Daily an sein Team: «Ihr habt alles Vertrauen
der Welt, jetzt zeigt was ihr könnt». Der Mitarbeiter versichert seiner Chefin im Zielvereinbarungsgespräch: «Vertrau mir einfach». Diese Sätze hören wir häufig in der Arbeitswelt. Der Ruf nach Vertrauen ist laut. Doch ist es wirklich so einfach? Kann man Vertrauen einfach einfordern?
Die Forderung nach Vertrauen ist ein Anti-Pattern, das uns beinahe täglich begegnet. Menschen gehen ganz unterschiedlich mit Vertrauen um. Misstrauische Mitarbeiter benötigen Kontrolle, während arglose Personen erst einmal allen vertrauen – bis etwas schiefgeht. Beide haben ein falsches Verständnis. Vertrauen ist Emotion, Wert und Überzeugung zugleich. Es lässt sich nicht willkürlich zerstören und taucht nicht von selbst auf. Vertrauen braucht eine Basis, die erst einmal gebildet werden muss. Der Befehl «Vertrau mir einfach» ist nicht umsetzbar, ohne vorher ein Fundament zu legen.
Häufig bringen Mitarbeiter ihren Frust wie folgt zum Ausdruck: «Wir können nicht arbeiten, weil uns nicht vertraut wird». Vertrauen da, alles gut? Ganz so einfach ist es nicht. Vertrauensbildung ist ein Prozess. Ich erhalte als Mitarbeiterin Vertrauen, indem ich die Erwartungen meines Vorgesetzten erfülle. Damit ich das kann, muss mir dieser seine Werte und Prinzipien kommunizieren. Oft scheitert es an der Transparenz. Wenn Vorgesetzte ihre Werte nur unklar formulieren, führt das bei den Mitarbeitern zwangsläufig zum Rätselraten, vermeintlichem Fehlverhalten und Konflikten. Doch auch hinter Aussagen wie «Ich vertraue euch, dann schauen wir weiter», versteckt sich Misstrauen. Das Team erhält solange freie Hand, bis die Ergebnisse nicht wie erwartet ausfallen. Vertrauen ist in diesem Fall nur ein Aufschub von Kontrolle.
Beispiele
Ein Scrum-Team weigert sich, ihre Velocity mit der Führungsebene zu teilen. Transparenz, ein hoher Wert von Scrum, wird völlig ignoriert. Zahlen werden verheimlicht, beschönigt, ungern geteilt und in manchen Fällen sogar gefälscht. Wie konnte es zu diesem Verhalten kommen? Ursache dafür ist fehlendes Vertrauen von Vorgesetzten. Ein Management, das nicht vertraut, verwendet alles «gegen» das Team. Statt Unterstützung anzubieten, wird Druck erzeugt. Plötzlich darf «Velocity» nicht mehr das sein, was es eigentlich ist: Ein Werkzeug um zu planen, allenfalls um längerfristig eine Entwicklung zu sehen. Es geht nicht darum, Performance zu messen. Wird die Kennzahl verwendet, um Leistung zu bewerten, lässt sich fast immer die Schuld im Misstrauen finden.
Nachteile
Zeitverlust durch Mikro-Management: Das Management hat weniger Zeit, sich um die wirklich wichtigen Führungsaufgaben zu kümmern
Vergiftetes Umfeld: Teammitglieder fühlen sich kontrolliert, vor allem auf Knowledge-Worker wirkt dies kontraproduktiv und demotivierend
Sinkende Eigeninitiative: Teams sind demotiviert, eigene Lösungsansätze werden nicht mehr verfolgt zugunsten eines «Dienst nach Vorschrift»
Keine Hochleistung: Studien belegen, dass die Grundlage von High-Performance-Teams eine sogenannte psychologische Sicherheit ist, d.h. die Erlaubnis Fehler zu machen ohne Vertrauensverlust zu erleiden
Merkmale
Vertrauen beinhaltet einen positiv verstärkenden Mechanismus: Je mehr Vertrauen vorhanden ist, desto schneller wächst es. Je weniger Vertrauen vorhanden ist, desto schneller sinkt es. Mitarbeitende die sich gegenseitig misstrauen, werden sich immer stärker ins Misstrauen manövrieren. Teams, die im Gegensatz dazu eine solide Vertrauensbasis geschaffen haben, wie zum Beispiel durch ein Vertrauens-Proxy, profitieren von einer positiven Aufwärtsspirale. Die Zusammenarbeit wird zunehmend besser. Ein passives Team ergreift wieder Initiative. Diese wird vom Management gesehen und anerkannt. Das wiederum bestärkt das Team, Neues auszuprobieren und über sich hinauszuwachsen.
Auswege aus dem Anti-Pattern
Vertrauen lässt sich nicht befehlen, voraussetzen oder verschenken. Wie erreiche ich es dann? Die Erfolgsformel ist Mut zur Verletzlichkeit.
Die Erinnerung an den Schlachtherrn und König Alexander den Grossen ist nicht mit Begriffen wie «Verletzlichkeit» verknüpft. Folgende Geschichte ändert das vielleicht. Makedonien, 335 vor Christus: Zwei verfeindete Heere stehen sich auf dem Schlachtfeld gegenüber. Die Mienen sind hassverzerrt, hunderte Soldaten warten auf den Befehl ihres Anführers, sich in den blutigen Kampf zu stürzen. Alexander der Grosse realisiert plötzlich, dass dieser Kampf zu nichts führen wird. Es gibt nichts zu gewinnen, nur zu verlieren. Er beschliesst, mit dem Heerführer der Feinde zu sprechen. Dafür muss er das Schlachtfeld überqueren. Doch wie läuft man auf eine menschliche Mauer aus Kämpfern zu, ohne den Eindruck zu erwecken, angreifen zu wollen? Wie gewinnt man das Vertrauen der Gegenseite? Er steht vor der Wahl, seinen Speer oder sein Schutzschild liegen zu lassen. Für was würden Sie sich entscheiden? Alexander der Grosse wählte den Speer und liess sein Schutzschild zurück. Seine Botschaft war: Seht her, ich mache mich verletzlich.
Wer vertraut, der entscheidet sich auch bewusst dafür, sich verletzbar zu machen. Dieser unglaubliche Mut wird durch das Vertrauen der Gegenseite belohnt. Die Arbeitswelt ist meist kein Schlachtfeld, doch etwas mehr Mut, täte ihr gut.
Weiterführendes Material zum Thema Vertrauen / Psychologische Sicherheit:
Buch: “The Five Dysfunctions of a Team: A Leadership Fable”; Patrick Lencioni; https://amzn.to/3tviGKy (Affiliate Link). Basis ist “Absence of trust”.
Google Teams-Studie https://rework.withgoogle.com/blog/five-keys-to-a-successful-google-team/
HBR Artikel 2017, The Neuroscience of Trust, Management behaviors that foster employee engagement by Paul J. Zak https://hbr.org/2017/01/the-neuroscience-of-trust
HBR Artikel 2021, What Psychological Safety Looks Like in a Hybrid Workplace by Amy C. Edmondson and Mark Mortensen https://hbr.org/2021/04/what-psychological-safety-looks-like-in-a-hybrid-workplace
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