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Writer's pictureDavid Baer

Denken in Abstraktionsebenen

Beschreibung

Selbstorganisierte Teams sind in der Agilität ein zentraler Grundsatz. Dahinter liegt die

Annahme, dass heutzutage die meisten Mitarbeitenden sogenannte «Knowledge-Worker» sind und selbst am besten wissen, wie etwas zu tun ist. Sie verfügen über den notwendigen Kontext und detailliertes Wissen. Ihr Vorgesetzter weiss in der Regel nicht besser, wie ein Problem zu lösen ist.

Das Konzept der dezentralisierten Entscheidungsfindung hilft selbstorganisierten Teams in ihrer täglichen Arbeit. Es besagt, dass Entscheidungen die bestimmten Kriterien entsprechen (häufig, zeitkritisch und lokal), am besten dezentralisiert werden, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen. Um dezentralisierte Entscheide zu ermöglichen, ist es sehr sinnvoll, Abstraktionslevel explizit einzuführen. «Flughöhen» fördern eine holistische Betrachtung und betten die jeweilige Entscheidung in den Gesamtkontext des Unternehmens ein.

In einem Unternehmen sieht das konkret so aus, dass der Portfolio Manager eines Grosskonzerns, Initiativen in Millionenhöhe verwaltet. Entscheidungen auf diesem Niveau haben große Auswirkungen und beinhalten ein hohes Risiko, das entsprechende Aufmerksamkeit verlangt. Alle anderen Aufgaben darunter stören. Im Gegensatz dazu verantwortet der Entwickler auf seinem Level die Arbeit von ein paar Tagen. Er oder sie entscheidet auf einem sehr kleinen Detaillierungsgrad. Hier geht es nicht um Millionen-Projekte, aber trotzdem sollte der Entwickler die Aggregation nach oben kennen. Warum? Das Verständnis darüber, wie die eigene Arbeit in das gesamte Unternehmen eingebettet ist, lässt ihn auch die kleinsten Entscheidungen bestmöglich treffen.

Die «Flughöhen» werden zum Beispiel in gewissen Kanban Implementationen als Portfolio, Programm und Projekt definiert. Das wichtige ist hierbei, sich diese Ebenen bewusst zu halten. In Scrum brechen wir allzu oft grosse Arbeiten in kleine Pakete, und vergessen dabei den grösseren Kontext.

Für Abstraktionslevel braucht es keine grosse Organisationen. Selbst in persönlichen Vorhaben lohnt es sich Arbeitspakete auf verschiedenen Ebenen zu betrachten, um sowohl Wald wie auch Bäume zu erkennen. Beispielsweise ist ein Doktorat ein langjähriges, persönliches Projekt. Es müssen darin sowohl grosse Schritte (Festlegen des Forschungsthemas, Papers, …) erreicht werden, wie auch die kleineren Schritte die es zum Erreichen des grossen braucht - und das ohne das grosse Ziel aus den Augen zu verlieren und den Fokus zu behalten.

Negative Beispiele

Ein Team arbeitet an einem neuen Feature für einen Onlineshop. Auf der höchsten «Flughöhen» betrachtet, will ich als Unternehmen, dass meine Kunden möglichst schnell an ihr Ziel kommen, um dadurch die Wiederkaufwahrscheinlichkeit zu erhöhen und die Absprungrate zu verkleinern. Eine Ebene darunter, sprechen wir von einer gut funktionierenden Suche im Onlineshop. Die Anforderungen sind klar. Wird diese Suchfunktion nun immer weiter heruntergebrochen, landen wir bei einer Search-Library, verschiedenen Mustern zur Suche und, und, und… Die einst klare Anforderung einer Suchfunktion ist plötzlich in unzählige Features aufgeteilt. Das Ergebnis? Aus der einfachen Implementierung einer Suchfunktion wird ein Grossprojekt. Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Die Suchfunktion wird teuer, weil sie mit vielen Details «vergoldet» wurde. Was nutzt der Onlineshop-Besucher überhaupt noch?

Motivation

Die Einführung von «Flughöhen» hilft einem Team, sich selbst zu organisieren. Es schützt vor Überforderung und bietet eine klare Orientierung. Das grosse Bild geht nicht verloren und der Gesamtkontext wird auf jeder Entscheidungsebene beibehalten. Die «Flughöhe» gibt gleichzeitig die Grösse der zu verrichtenden Arbeit vor. Das Pattern macht damit allen Teammitgliedern die Arbeit leichter. Jeder kann sich auf seine Rolle, seine Arbeit und seine «Flughöhe» fokussieren.

Prinzipien

  • Dezentralisierte Entscheidungsfindung einführen: Entscheidungen werden dort gefällt, wo Informationen vorhanden sind, es muss weniger auf die Autorisierung durch Vorgesetzte gewartet werden.

  • Stop starting, start finishing: Zuviel Work-in-Progress sieht nach toller Beschäftigung aus, aber der funktionale Nutzen für den Endnutzer bleibt auf der Strecke, deshalb lieber Aufgaben beenden, bevor neue angefangen werden

  • Fokus auf nach oben: Die Arbeit sollte auf möglichst grosser «Flughöhe» beendet werden, viel zu oft versinken wir in Details, obwohl das höchste Level den grössten Mehrwert bietet

Methoden

  • Treshold: Limits oder Schwellenwerte helfen dabei, Objekte einer bestimmten Grösse zuzuordnen und sich anhand dessen zu orientieren, z.B. Einteilung in Geld, Zeitaufwand oder Ressourcen

  • Kaskadiertes Kanban-System oder auch Multilevel Kanban: Arbeitspakete werden in gewisse «Flughöhen» eingeteilt, deren Implementierung in den Leveln darunter stattfinden. Die oberen Level helfen dabei, den Fokus zu behalten.

  • SAFe: Bildet explizit die verschiedenen «Flughöhen» ab, wie z.B. Team, Team of Teams, Large Solution und Portfolio

  • LeSS: Eine skalierte Version von Scrum, welche im Gegensatz dazu alle Teams in einen gemeinsamen Sprint inkludiert, um gemeinsam ein einziges Produkt zu liefern

  • Scrum@Scale: Mehrere Scrum-Teams werden zu einem ganzen Ökosystem zusammengefasst

  • Kanban: Einfache Unterteilung in drei Level nach 1. operativ, 2. kooperativ und 3. strategisch

  • Objectives & Key Results, OKR: Werden auch auf verschiedenen Levels eingesetzt.

  • Betrachten wir Abstraktionslevel von Arbeitsinitiativen/-paketen machen auch verschiedene Definition-of-Done für die unterschiedlichen Ebenen Sinn. Beispielsweise muss eine Story andere Kriterien erfüllen damit sie als erledigt gilt als eine Initiative.

  • Auch Holone der Integralen Theorie können unter diesem Aspekt betrachtet werden.



Positive Beispiele

Im negativen Beispiel haben wir gesehen, wie schnell die einfache Suchfunktion eines Onlineshops zu einem Grossprojekt führt. Durch Anwendung der «Flughöhen» können wir klar priorisieren, welche Aufgaben notwendig sind, um das höchstmögliche Ziel einer gut funktionierenden Suche zu erreichen. Arbeiten können dadurch schnell zugeordnet, priorisiert und erledigt werden. Anstatt immer wieder neue Aufgaben und Ideen in Hinblick auf die Suche zu entwickeln, fokussieren wir uns auf ein Ergebnis mit funktionalem Nutzen für den Webseitenbesucher. Im Beispiel der Vermarktung des Onlineshops könnte das wie folgt aussehen: Damit wir unser Umsatzziel erreichen, brauchen wir pro Woche 2’000 Besucher in unserem Webshop, da durchschnittlich 2% der Shop-Besucher mit einem durchschnittlichen Umsatz von CHF 100 einkaufen. Um dieses Ziel zu erreichen, definieren wir eine Marketingkampagne, die aus verschiedenen Online-Anzeigen besteht, welche Kunden in unseren Onlineshop locken sollen.


Die Anzeigen wiederum bestehen aus verschiedenen Bildwelten, die auf die verschiedenen Zielgruppen zugeschnitten sind. So gelangen wir von einem einzelnen Foto, Text und Online-Anzeigenplatz zum Umsatzziel - und umgekehrt. Die «Flughöhen» sind klar definiert, und der Fotograf weiss genauso gut wie der Texter, welches Endergebnis erreicht werden soll.

Vorteile

  • Dezentralisierung: Der Einsatz von «Flughöhen» hilft dabei, dezentrale Entscheidungen umzusetzen

  • Flow: Die Fokussierung auf die wichtigen Dinge, fördert Motivation und Flow der Mitarbeiter

  • Zeit und Kosteneinsparungen: Durch effiziente Entscheidungsfindung, lassen sich viele Ressourcen sparen

  • End-to-End: Die holistische Betrachtungsweise auf höheren Ebenen führt dazu, dass einzelne Mitarbeiter ganzheitlicher denken, weil sie plötzlich das «Grosse Ganze» kennen und in dessen Kontext arbeiten können



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